Station 7

Begegnungswoche -

Angst vor einer Rückkehr in die Heimat?

Auf Einladung des Förderkreises Synagoge und der Ortsgemeinde Laufersweiler besuchten im Juni 1994 zwölf ehemalige Laufersweiler Bürger jüdischen Glaubens den Ort ihrer Kindheit
Für einige war dies, nach mehr als fünf Jahrzehnten, der erste Besuch und ein Schritt, der schwerfiel. In der Begegnungswoche gab es nicht nur offizielle Zusammenkünfte, sondern auch intensive persönliche Begegnungen und Gespräche. Die jüdischen Gäste fühlten, dass die Wärme und Herzlichkeit, die ihnen überall entgegengebracht wurde, ehrlich gemeint war. Oft wurden sie stumm vor Ergriffenheit und mit Tränen in den Augen in die Arme geschlossen.  Dabei war zunächst, vor allem bei denen, die zum ersten Mal zurückkamen, die Angst groß: sie hatten gedacht, dass sie niemals in dieses Land, in ihr Dorf zurückkehren könnten.  Schlimme Kindheitserinnerungen bahnten sich schmerzlich den Weg in ihr Gedächtnis, aber man erinnerte sich auch an Nachbarn und Freunde, die zu einem hielten. Bei einigen war der Kontakt nie ganz abgerissen. Ruth Rothschild, die in Argentinien lebte, mittlerweile aber verstorben ist, hielt immer den Kontakt zu ihrer Nachbarin Frieda Kehl. 1983 kam sie zum ersten Mal wieder nach Laufersweiler, vor allem um die Gräber ihrer Großeltern zu besuchen. Die zwei alten Damen sind froh, sich nach vielen Jahren endlich wieder in die Arme schließen zu können. Manfred Heimann, der Bruder von Ruth Rothschild, schildert die Pogromnacht aus der Sicht des damals neunjährigen Jungen: „Wir haben abends am Tisch gesessen, Opa, Mama und alle Kinder, als sie gekommen sind. Man hat uns mit Knüppeln auf den Speicher gejagt und eingeriegelt, dann hat man einfach alles kaputtgeschlagen. Unser Nachbar wollte uns verteidigen, darauf wollten sie auch bei ihm alles zerstören. Später sind wir aus Angst in den Wald gelaufen und haben uns dort für den Rest der Nacht versteckt.“ Alice Hanau, die heute in New York lebt, erinnert sich an ihre Schulzeit: „…..die jüdischen Kinder mussten in den hintersten Reihen sitzen, sie wurden vom Lehrer nie etwas gefragt. Wenn die anderen Kinder eine Frage nicht beantworten konnten, schimpfte der Lehrer und fragte, ob sie sich von den Juden etwas vormachen lassen wollten. Wir wurden oft geschlagen und hatten große Angst.“  Marcel Hanau erzählt von der Zeit im Konzentrationslager Buchenwald und Pinemünde: „In den ersten sechs Monaten in Pinemünde starben mehr als 1000 Häftlinge, sie wurden alle nach Buchenwald abtransportiert und dort verbrannt oder kamen in Massengräber. ….“ Er kam 1977 zum ersten Mal zurück nach Laufersweiler: „ich bin durch das Dorf bis zum Friedhof gegangen, ich habe mit niemandem gesprochen und bin dann wieder weggefahren. Als ich 1989 wiederkam, habe ich mit dem damaligen Ortsbürgermeister Fritz Ochs die Synagoge, die gerade renoviert wurde, angesehen.“ Auch Heinz Hanau hat schlimme Erinnerungen an die Zeit des Nazi-Regimes. Einige Tage nach der Pogromnacht hat man ihn brutal zusammengeschlagen. „Meine Eltern fanden mich ohnmächtig vor unserem Haus und beschlossen, dass ich nicht mehr in Laufersweiler bleiben kann.“ Er ging danach ins Ausland, seine Eltern und Großeltern blieben in Laufersweiler, er hat sie nie wieder gesehen – später erfuhr er, dass sie alle nach Theresienstadt kamen und dort starben. Rolf und Paul Mayer, die heute Shimon und Pinchas heißen, berichten von ihren Vorfahren: ein Onkel ist im Ersten Weltkrieg als deutscher Offizier gefallen, ein anderer Onkel starb ebenfalls im Krieg für seine Vaterland, der Vater war Inhaber des Eisernen Kreuzes, doch auch diese Auszeichnung schützte ihn nicht vor der Verhaftung durch die Nazis. Rolf war schon einige Male in Laufersweiler, seinen Bruder Paul musste er in vielen Gesprächen erst davon überzeugen, den Schritt zu wagen.
Alle können die schrecklichen Ereignisse niemals vergessen, sie wurden verhöhnt, verspottet und aus ihrer Heimat vertrieben, ihre Angehörigen wurden ermordet. Dennoch empfanden alle die Begegnungswoche und die Wärme, die ihnen entgegengebracht wurde, als versöhnlich. Resümierend stellte Rolf Mayer fest: „Es müssten viel mehr solcher Begegnungen stattfinden, mit dem Ziel, einander besser zu verstehen und voneinander zu lernen, dann gäbe es bestimmt mehr Frieden auf der Erde.“

(Text: Gisela Wagner)

 

 

Programm vom 11.6. bis 18.6.1994:

 

Offizieller Empfang, Jüdisch-Christlicher Gottesdienst, Hunsrückrundfahrt, Begegnung mit Jugendlichen, Besuch des jüdischen Friedhofes, Konzert Jiddische Lieder: Aschira, Begegnung mit Weihbischof Leo Schwarz, Fahrt nach Frankfurt: Museum,  jüdischer Gottesdienst, koscheres Essen

Empfang Bürgerhalle Laufersweiler mit den örtlichen Vereinen

 

Hunsrückausflug zur Gösenrother Fußmühle

Personen von links, obere Reihe: Heinz Hanau, Manfred Heimann, Marcel Baum, Ernst Fellenzer, Paul Mayer, Rolf Mayer, Richard Rothschild

untere Reihe von links: Rita Heimann, Alice Hanau, Ruth Baum, Ruth Rothschild, Rachel Mayer, Ata Mayer

 

 

 

Gruppe Aschira im evangelischen Gemeindesaal

Marcel Baum in Herrstein vor einem Misthaufen

Elmar Ries (links), Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft Koblenz, im Gespräch mit Marcel Baum.

Im Jahre 2017 hat Herr Ries fast seine komplette Bibliothek dem Forst-Mayer-Studienzentrum in Laufersweiler geschenkt.

Schulkameraden: Ruth Rothschild und Ernst Fellenzer

Trotz aller schmerzlichen Erinnerung: Paul Mayer (links) und   Heinz Hanau sind zu Scherzen aufgelegt.

Rolf Mayer im Gespräch mit Pfarrer Karliczek

Pastor Benno Wiederstein, Kantor Toper und Pfarrer Manfred Karliczeck bei der Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof.

Empfang in der Synagoge

Die örtlichen Vereine unterhalten und bewirten die Gäste im neuen Gemeindehaus.

Hans-Werner Johann, erster Vorsitzender des Vereins "Förderkreis Synagoge Laufersweiler" und Gestalter der Dauerausstellung im Gespräch mit Rolf Mayer (Israel)